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Jörg Wehrhahn: „Was kann man mehr bekommen als eine Schwester?“

Sie haben sich in den 90er-Jahren registrieren lassen, als im VW-Werk in Hannover eine Typisierungsaktion für einen erkrankten Kollegen lief. Für ihn kam die Hilfe dann leider doch zu spät. Was war das damals für ein Gefühl, ihm nicht helfen zu können?

„Als damals der Aufruf zur Typisierung für den Kollegen kam, war es für mich selbstverständlich, mich typisieren zu lassen. Für mich war damals schon klar, dass die Chance, einen passenden Spender in der kurzen Zeit zu finden, relativ gering ist, aber je mehr Menschen sich typisieren lassen, je höher ist die Chance, dass einer passt. Allein die Möglichkeit, dass durch meine Mithilfe möglicherweise einem sterbenskranken Menschen geholfen werden kann, lies mich nicht lange überlegen. Leider konnte damals kein geeigneter Spender gefunden werden, und der Kollege ist verstorben, aber ich kann für mich sagen, was ich tun konnte. habe ich getan.“

Sie haben dann aber doch noch einem Menschen 2007 durch eine Stammzellenspende das Leben gerettet, der Österreicherin Alexandra Ubl. Wie haben Sie das damals erlebt? Wie lief das ab?

„Diese Stammzellspende wurde lange vorbereitet. Ich bekam eine Nachricht, dass ich in die engere Auswahl gekommen bin. Von diesem Zeitpunkt an wurden dann noch einige Untersuchungen durchgeführt, um sicher zu stellen, dass ich als Spender gesund bin und weder für mich noch für die Empfängerin irgendwelche medizinischen Kontraindikationen der Spende im Wege stehen. Nachdem alle Untersuchungen abgeschlossen waren und klar war, dass ich gesund bin und alle wichtigen Merkmale meines Knochenmarkes passen, kam es dann zur Spende. Mir war damals nur bekannt, dass diese Spende nach Wien geht und für eine 35-jährige Frau bestimmt ist.“

Als Sie nach der Transplantation 2012 das erste Mal mit Frau Ubl gesprochen haben, was war das für ein Gefühl?

„Nachdem wir 5 Jahre lang regen Briefverkehr miteinander hatten, in dem die Identität des Spenders und des Empfängers noch nicht bekannt war, haben wir uns im Frühjahr 2012 in Wien getroffen. Diese erste Begegnung war ein für mich sehr bewegendes Erlebnis, den Menschen persönlich kennen zu lernen, welcher nach einer derartig lebensbedrohlichen Erkrankung so lebensfroh und gesund vor mir stand. Dies hat mich mit Freude und Dankbarkeit erfüllt für die großartigen Leistungen der Medizin. Wir haben ein wundervolles Wochenende miteinander verbracht, an dem ich auch die Familie kennenlernen dürfte. Es hat daraus mehr als eine Freundschaft entwickelt.“

Und als Sie sich dann gesehen haben, wie war das? Was ist Ihnen als erstes an ihr aufgefallen? Gibt es neben ihren Stammzellen andere Ähnlichkeiten zwischen Ihnen beiden?

„Ich habe sofort gedacht: Da steht mir meine Schwester gegenüber.“

Sie haben Frau Ubl im Sommer 2012 zu Ihrer Trauzeugin gemacht, warum?

„Wir haben lange darüber nachgedacht, wer als Trauzeuge aus unserem Umfeld in Frage kommt. Es ist nicht leicht, diese Entscheidung zu treffen. Allerdings haben meine Frau und ich nach dem ersten Treffen in Wien beide Frau Ubl vorgeschlagen. Der Grund für diese Endscheidung war sehr einfach. Sie ist ein neuer Teil unserer Familie, wir wollten dies damit symbolisieren und Frau Ubl herzlich wollkommen heißen in unserem Leben.“

Wie hat Ihre Familie und wie die von Frau Ubl auf Ihre Hilfe reagiert?

„Meine Familie hat mich immer in meiner Endscheidung zur Spende unterstützt und dies ausnahmslos begrüßt. Es gab nicht nur Menschen in meiner Familie sondern auch Freunde, welche sich nach dieser Begegnung typisieren ließen. Die Familie von Frau Ubl hat mich sehr freundlich empfangen und sich mehrfach bei mir bedankt, was mich z.T. peinlich berührt hat, da dies für mich eine Selbstverständlichkeit ist zu helfen, wo ich helfen kann.“

Inwiefern fühlt man sich dem Menschen verbunden, mit dem man so etwas geteilt hat wie eine Stammzellenspende?

„Dieses Gefühl ist unbeschreiblich. Es ist erfüllt von großer Dankbarkeit, dass auch Frau Ubl eine so starke Frau ist und Ihr Überlebenswille sehr viel zum Erfolg der Transplantation beigetragen hat. Es ist eine große Bereicherung für mein Leben, denn alles im Leben wird so unwesentlich, wenn man so krank ist.“

Halten Sie immer noch Kontakt?

„Wir haben sehr regen Kontakt. Telefonieren, WhatsApp, Skype und mindestens einmal im Jahr besuchen wir uns. Im letzten Jahr haben wir ein gemeinsames Wochenende in Berlin verbracht, und in diesem Jahr feiern wir gemeinsam meinen 55. und den 50. Geburtstag meiner Frau.“

Haben Sie ein Ritual, vielleicht zum Spende-Tag?

„Ich selbst habe kein Ritual, da ich meine Rolle hierbei nicht so feierwürdig empfinde. Die Spende ist für mich ein Bedürfnis gewesen und selbstverständlich. Ob Frau Ubl ihren Geburtstag 2 x feiert, ist mir nicht bekannt.“

Inwiefern erinnert Sie ein Besuch von oder bei Alexandra Ubl vielleicht auch an die Dinge im Leben, die wirklich wichtig sind?

„Es bedarf nicht ein Treffen mit Frau Ubl, um mich an die wichtigen Dinge im Leben zu erinnern. Meine Frau und ich haben in unserer Küche Bilder von Frau Ubl aufgehängt, auf denen Frau Ubl von der Krankheit schwer gezeichnet ist. Diese Bilder erden mich täglich.“

Haben Sie das Gefühl, auch etwas bekommen zu haben, auch wenn Sie der Spender waren?

„Was kann man mehr bekommen als eine Schwester?“