Michaela Grüneklee: „Viel mehr Menschen sollten sich typisieren lassen.“
Wissen Sie noch, wann und wo Sie sich als Stammzellspenderin registriert haben?
„Das war Ende 2004 in Berlin. Es wurde für Benny, einen jungen Hertha-Fan, der in Hannover gewohnt hat, ein Stammzellspender gesucht. Hertha BSC hat mit dem NKR eine Typisierungsaktion auf dem Vereinsgelände organisiert. Während sich mein Sohn das Training der Profis angeschaut hat, habe ich mir die Blutprobe abnehmen lassen. Ich war damals Arzthelferin in einer Kooperationspraxis vom NKR. Auch dort haben sich viele Berliner für Benny typisieren lassen.“
Fünf Jahre später erhielten Sie den ersten Anruf vom NKR.
„Im November 2009 sollte ich mir nochmal Blut abnehmen lassen und einschicken. Daran, dass ich wirklich jemanden helfen könnte, habe ich damals aber noch nicht gedacht. Etwas später folgte ein weiterer Anruf vom NKR, dass ich tatsächlich für jemanden als Spender in Frage komme. Erst bei der Bestätigungstypisierung wurde mir bewusst, dass ich vielleicht ein Leben retten kann.“
Die Stammzellentnahme verzögerte sich jedoch.
„Ich sollte im Januar 2010 spenden, aber die Patientin hatte einen Rückfall. Ihr ging es plötzlich sehr schlecht. An eine Transplantation war damals nicht zu denken. Ich konnte gar nichts machen und war darüber sehr traurig. Aber dann kam die Nachricht, dass sie sich erholt hat und es endlich losgehen kann. Am 12. Februar 2010 war ich dann für die Entnahme in der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH).“
Wie haben Sie die Zeit im Krankenhaus erlebt? Hatten Sie ein wenig Angst?
„Angst nicht, da ich als Arzthelferin wusste, worauf ich mich einlasse. Ich habe aber einen gewissen Druck verspürt. Ich dachte mir: „Wenn ich nicht genug Stammzellen liefere, dann stirbt die Empfängerin wahrscheinlich.“ Daher hätte ich auch eine Knochenmarkspende machen lassen. Die Stammzellapherese, also das Herausfiltern der Stammzellen aus dem Blut, dauerte 4,5 Stunden. Schon am Nachtmittag erhielt ich die Information, dass genug Stammzellen vorhanden sind.“
Was wussten Sie damals über die Empfängerin?
„Ich wusste nur, dass sie eine Frau ist und unter 50 Kilo wiegt. Ich dachte, sie wäre vielleicht ein Teenager. Ich habe ihr noch im Krankenhaus anonym eine Postkarte geschrieben und ihr viel Glück gewünscht. Diese Karte hatte die Empfängerin, wie sie mir später sagte, während der Behandlung die ganze Zeit bei sich. Vom NKR habe ich dann erfahren, dass die Transplantation erfolgreich war.“
Ein Jahr danach gab es einen Krebsfall in Ihrer Familie.
„Mein Zwillingsbruder erkrankte 2011 an Krebs. Er hatte ein Adenokarzinom. Es tat mir so leid, dass ich ihm nicht wie bei der Stammzellspende helfen konnte. Er sagte damals zu mir: „Michi, das ist so im Leben. Wir können nicht für jeden Gutes tun. Aber ein Zwilling lebt weiter. Dein genetischer Zwilling.“ Medizinisch war mir klar, dass ich nichts tun konnte. Aber es fühlte sich trotzdem schrecklich an. Mein Bruder verstarb am Krebs. Das Wissen, jemand anderem geholfen zu haben, hat mich damals getröstet.“
2012 wollte die Empfängerin persönlichen Kontakt mit Ihnen aufnehmen.
„Ich habe sofort zugestimmt. Mit dem ersten persönlichen Brief der Empfängerin realisierte ich, dass ich tatsächlich das Leben eines Menschen gerettet habe. Ihren Brief habe ich seitdem immer im Portemonnaie dabei. Sie bedankte sich dafür, dass ich ihrem Mann die Frau und ihren Kindern die Mutter wiedergegeben habe. Ihre Kinder sind in etwa so alt wie meine Kinder. Daher konnte ich die Angst um die Zukunft der Familie ganz gut nachfühlen. Meine Empfängerin und ich sind auch fast im gleichen Alter. Sie wohnt in Gießen. Wir haben seitdem mindestens vier Mal im Jahr Kontakt. Persönlich getroffen haben wir uns aber leider noch nicht.“
Wie wichtig war es für Sie, die Empfängerin persönlich kennenzulernen?
„Wenn die Empfängerin keinen Kontakt gewünscht hätte, wäre das für mich vollkommen okay gewesen. Denn ich habe meine Spende damals nicht an irgendwelche Verpflichtungen wie Dankbarkeit geknüpft. Vielmehr habe ich für jeden Menschen, der meine Stammzellen braucht, gespendet. Es wäre jedoch sehr schade, nie erfahren zu können, dass es meiner Empfängerin gut geht und sie nach den fünf Jahren als geheilt gilt. Sie ist für mich jetzt der Zwilling, den ich nicht mehr habe, auch wenn sie nicht zur Familie gehört.“
Wann ist ein Treffen geplant?
„Im Sommer möchte sie mit ihrer Tochter nach Hamburg fahren. Ich wohne in der Nähe. Wir stimmen uns gerade ab, wann wir das genau machen, und freuen uns schon sehr darauf.“
Ermuntern Sie andere Menschen dazu, sich typisieren zu lassen?
„Auf jeden Fall. In der Arztpraxis, in der ich arbeite, gibt es viele Leukämiepatienten aus allen Altersgruppen. Daher habe ich die Krankheit ständig vor Augen. Das Besondere an Leukämie ist ja, dass man hier als Dritter im Gegensatz zu den anderen Krebsarten tatsächlich helfen kann. Viel mehr Menschen sollten sich typisieren lassen. Der Gesetzgeber könnte hier tätig werden und eine Widerspruchsregelung festlegen: Jeder wäre registriert, es sei denn, er möchte es nicht.“