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Charlotte Mira Scholz hat Knochenmarktransplantation gut überstanden

Schwarme – Von Mareike Hahn. Familie Scholz darf hoffen. Die fünfjährige Charlotte Mira hat die Knochenmarktransplantation gut überstanden. „Bisher ist alles wie im Lehrbuch verlaufen“, sagt ihr Vater Michael. Trotzdem haben er und seine Frau Katrin noch eine sorgenvolle Zeit vor sich. Erst die nächsten Monate und Jahre werden zeigen, inwieweit sich ihre Tochter von ihrer schweren Krankheit erholen kann. „Lotte wird auf jeden Fall ein Handicap behalten“, sagt die Mutter. „Wir hoffen, dass es nur körperlich sein wird.“

Charlotte Mira leidet an Leukodystrophie. Das ist eine sehr seltene, unheilbare Stoffwechselkrankheit; in Deutschland erkranken im Schnitt jedes Jahr fünf Menschen daran. Die Erkrankung schreitet langsam voran und endet in der Regel tödlich. Einzig eine Stammzellen- oder Knochenmarktransplantation kann den Prozess – in manchen Fällen – stoppen.

Ende Februar diagnostizierten die Ärzte die Krankheit bei der jungen Schwarmerin. Zu dem Zeitpunkt war sie geistig vollkommen normal entwickelt, nur körperlich schien sie etwas hinter Gleichaltrigen herzuhinken. Das Mädchen bewegte sich ein wenig unsicher. Merkbar war das allerdings kaum.

„Gefühlt hatten wir da noch ein gesundes Kind“, sagt Michael Scholz. Heute ist das anders. Am 12. Juni kam Charlotte Mira ins Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, vier Wochen später wurde sie wieder entlassen. „Wir wussten, dass die Knochenmarktransplantation Lebensqualität zerstören würde“, sagt Michael Scholz. Trotzdem blieb den Eltern keine andere Wahl. Denn Charlotte Mira soll leben.

„Gut“, antwortet das Mädchen heute, wenn es gefragt wird, wie es ihm geht. „Nur etwas wackelig auf den Beinen.“ Schritt für Schritt wankt die Fünfjährige durch den Flur ihres Elternhauses, setzt vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Sie trägt ein buntes Shirt mit Elefanten darauf. Ihre blonden Haare sind ihr durch die Chemotherapie ausgefallen. „Die wachsen wieder“, sagt Katrin Scholz. Charlotte Mira lächelt.

Eingriff barg Risiken

Noch zwei Wochen vor der Transplantation wussten die Scholz’ nicht, ob es dazu kommen würde. Denn der Eingriff barg Risiken. Vorher musste das Immunsystem der Fünfjährigen durch eine Chemotherapie zerstört werden, um die Knochenmarktherapie möglich zu machen. Eine Infektion in dieser Zeit hätte tödlich sein können. Nach der Spende bestand das Risiko, dass der Körper die Knochenmarkzellen abstößt oder selbst von den Zellen angegriffen wird. Theoretisch kann die Stoffwechselkrankheit durch die Behandlung sogar noch beschleunigt werden und schneller verlaufen.

Trotzdem war die Transplantation für das Ehepaar Scholz „ein Strohhalm, an dem wir uns festhalten“. Die Hoffnung: Die neuen Knochenmarkzellen sollen das Enzym herstellen, das Charlotte Miras Körper durch die Krankheit nicht selbst produzieren kann. Dadurch könnte ihre Erkrankung zwar nicht geheilt, aber aufgehalten werden. „Es kann allerdings bis zu zwei Jahre dauern, bis die Knochenmarktherapie wirksam ist. So lange schreitet die Leukodystrophie weiter fort“, erklärt Michael Scholz.

Zehn Minuten berieten Charlotte Miras Ärzte im stillen Kämmerlein darüber, ob sie den Eltern zu einer Knochenmarktransplantation raten sollten oder nicht. Eine Entscheidung über Leben und Tod. Schließlich empfahlen die Mediziner, es zu wagen. „Wir waren erleichtert“, sagt der Vater.

14 Tage später begann der Krankenhausaufenthalt. Das Mädchen bezog ein 18 Quadratmeter großes, keimfreies Zimmer, das es für die nächsten drei Wochen nicht mehr verlassen sollte. Wer zu Charlotte Mira wollte, musste zunächst eine Art Schleuse passieren. Ein Elternteil war immer bei ihr, das andere übernachtete im „Ronald McDonald Haus“. Diese Einrichtung nimmt Familien schwer kranker Kinder für eine Weile auf. Charlotte Miras Eltern tat es gut, dort mit anderen Betroffenen zusammenzukommen. „Man muss nichts sagen. Jeder weiß, dass es dem anderen beschissen geht.“

Das Hauptanliegen von Katrin und Michael Scholz war es, ihrer Tochter das Leben so angenehm wie möglich zu machen. Trotz der Gefangenschaft in dem sterilen Zimmer. Trotz der anfänglichen sechs Tage Chemotherapie, an denen ihr Immunsystem auf die anschließende Knochenmarktransplantation vorbereitet wurde. „Neben uns stand ein riesiger Kasten mit verschiedenen Pumpensystemen“, sagt Katrin Scholz. „Lotte bekam die Medikamente durch einen Zugang. Sie hing die ganze Zeit an einer zehn Meter langen Leine.“

Die Scholz’ machten das Beste daraus. Sie erklärten ihrer Tochter, dass sie „ein Voltigierpferd an der Longe ist und kein angestöpseltes Mädchen“; sie spielten viel mit ihr, schauten Videos, hörten Musik und Hörspiele, bastelten, malten. „Bei uns war es immer chaotisch, spaßig und wild“, sagt Katrin Scholz. „Man möchte eigentlich den ganzen Tag heulen. Aber damit ist dem Kind nicht geholfen.“

Ab und zu kamen Clowns vorbei. Wenn ihr Kind aus ganzem Herzen lachte, vergaßen die Scholz’ für einen Moment ihre Angst.

Die Eltern schrieben auf zwei Zettel „Alles, was toll ist“ und „Alles, was doof ist“. Toll fand Charlotte Mira beispielsweise „Duschen mit rumspritzen“, „Zitronenkuchen“, „elektrisches Bett“ und „Leuchtfinger spielen“. „Blut abnehmen“, „Zähne putzen“, „Star Wars“ und „Spinat essen“ waren eindeutig doof.

„Gott sei Dank hatte sie ein gutes Immunsystem“

Charlotte Mira überstand die Strapazen verhältnismäßig gut. Sie musste sich ein paar Mal übergeben, hatte zwischendurch Bauchschmerzen und kurzzeitig Schüttelfrost. Doch sie konnte Nahrung zu sich nehmen, und die schlimmstmöglichen Nebenwirkungen blieben aus. „Gott sei Dank hatte sie ein gutes Immunsystem. Und nach der Transplantation hat das neue schnell gegriffen“, sagt Katrin Scholz. Ihr Mann ergänzt: „Die Kölner Frohnatur hat gute Zellen.“

Als „Kölner Frohnatur“ bezeichnen die Schwarmer die junge Frau, deren Knochenmark ihre Tochter retten soll. Viel wissen sie nicht über die Spenderin. Nur dass sie 19 ist und ihr das Knochenmark für Charlotte Mira in Köln entnommen wurde. Das Ehepaar hat der Lebensretterin einen Brief geschrieben, sie antwortete, dass sie froh sei, helfen zu können. Und bezeichnete sich selbst als „Lottes große Schwester“.

Am 20. und am 21. Juni bekam Charlotte Mira das neue Knochenmark. Arzt und Krankenschwestern brachten ihr danach ein Geschenk. So, als wäre es ihr Geburtstag.

Nach der Transplantation musste sie noch auf der Isolierstation bleiben, bis die Leukozyten in ihrem Blut einen bestimmten Wert überschritten hatten. „Als es so weit war, haben wir kurz durchgeatmet“, sagt ihre Mutter.

Dann kam die Fünfjährige für eine Woche auf die normale Kinderstation. Am 9. Juli, mehrere Wochen früher als geplant, durfte sie das Krankenhaus verlassen. Das Mädchen saß in einer Karre, weil es nicht laufen konnte.

Mittlerweile schafft Charlotte Mira auch mal alleine ein Stück, bevor ihr die Beine wehtun. Das ist mehr, als ihre Eltern zu hoffen gewagt hatten: „Die Ärzte sagten erst, dass sie vielleicht gar nicht mehr gehen kann.“ Ob die Schmerzen und die Schlappheit bleiben werden, vermag niemand zu sagen. „Wir wissen nicht, ob das an ihrer Grunderkrankung liegt, am Muskelabbau oder an Nebenwirkungen“, sagt Michael Scholz.

Zahlreiche Medikamente verschrieben

Die Liste der Medikamente, die Charlotte Mira nehmen muss, damit ihr Körper das Knochenmark weiter annimmt und sich von der Behandlung erholt, ist vier Seiten lang. Die Medizin wird nach und nach reduziert. Ein Jahr lang soll die Fünfjährige Penicillin nehmen. „Knochenmarkzellen sind lernfähig. Irgendwann kapieren sie, dass das nun ihr neuer Körper ist“, erklärt Michael Scholz. Jeweils zwei Mal die Woche muss Charlotte Mira zu Untersuchungen nach Hamburg, zur Krankengymnastik und zur Ergotherapie.

Zu Hause muss Familie Scholz vieles beachten. Damit Keime und Bakterien keine Chance haben, müssen Charlotte Mira und ihre Angehörigen sich oft die Hände waschen. Küsse oder Händeschütteln zur Begrüßung sind nicht drin. Die junge Schwarmerin darf mal mit einem anderen Kind spielen, nicht aber mit mehreren. Die Ansteckungsgefahr ist zu groß. Eine Erkältung oder Magen-Darm kann tödlich sein.

Deshalb hat Charlotte Mira, die im September sechs wird, auch ihre eigene Einschulung verpasst. Seit Anfang dieses Schuljahres gehört sie zur Klasse 1a der Grundschule in Schwarme. Ab Januar soll sie am Unterricht teilnehmen; dann dürfte ihr Immunsystem stark genug sein. Für die Übergangszeit hoffen ihre Eltern, dass der beantragte Hausunterricht genehmigt wird.

Die Schwarmer warten sehnlichst auf den Tag, an dem Charlotte Miras Körper das fehlende Enzym in der Menge produziert, dass es in ihrem Gehirn ankommt. Sie hoffen, dass ihre Tochter irgendwann ein weitgehend selbstbestimmtes Leben führen kann. „Lotte wird sicher kein ganz gesunder Mensch“, sagt Michael Scholz. Dennoch sind er und seine Ehefrau dankbar. „In 90 Prozent bedeutet Leukodystrophie den Tod. Wir gehören zu den zehn Prozent, die eine Chance bekommen.“

Wer helfen möchte

Charlotte Mira hat die Knochenmarktransplantation hinter sich. Doch viele andere Kranke warten noch auf einen geeigneten Knochenmark- oder Stammzellenspender. Daher bittet Familie Scholz alle, die noch nicht im Norddeutschen Knochenmark- und Stammzellspender-Register (NKR) oder einer anderen Organisation wie der Deutschen Knochenmark-Spender-Datei (DKMS) registriert sind, sich typisieren zu lassen. Voraussetzung ist ein Alter zwischen 17 und 55 Jahren. Und so einfach geht’s: Typisierungsset im Internet unter www.nkr-hannover.de anfordern, mit dem zugesandten Wattestäbchen etwas Wangenschleimhaut aufnehmen und es zurücksenden. Bezahlen muss dafür niemand; da jede Typisierung 40 Euro kostet, sind Spenden aber willkommen. IBAN: DE21 2505 0180 0000 1977 00 (Verwendungszweck „Charlotte Mira“). Über Spenden freuen sich auch die „Freunde der Kinderklinik des UK Eppendorf“. Sie haben es sich zum Ziel gemacht, die Lebenssituation unheilbar kranker Kinder und ihrer Eltern zu erleichtern. Auf der Homepage www.freunde-kinderklinik.de informiert der Verein über sein Engagement. Das Spendenkonto: IBAN: DE 6220 0505 5012 0812 4022 (Verwendungszweck „Lotta“). mah

Leukodystrophie

Charlotte Mira leidet unter einer Metachromatischen Leukodystrophie. Bei Leukodystrophien handelt es sich um genetisch bedingte Stoffwechselerkrankungen. Den Betroffenen fehlt ein Enzym, das für den Abbau bestimmter Stoffe aus dem Körper notwendig ist. Dadurch lagert der Körper diese Stoffe im Gehirn ab, wodurch die Funktion der Nerven massiv beeinträchtigt wird. Folgen sind motorische Beeinträchtigungen, Ausfallerscheinungen, Muskelschwächen, Krampfanfälle sowie schließlich ein Verlust der Sprache und der geistigen Fähigkeiten.

Quelle: Kreiszeitung.de, 18. August 2017